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Zukunftsreif (2024/2)

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Revolution und Evolution. In der Weinbranche steht vieles an. Da erfordert der Klimawandel rasches und konsequentes Handeln wie auch tiefgreifende Änderungen im Umgang mit der Natur. Der Weinbau ist von zunehmender Hitze, Trockenheit, aber auch extremen Wetter­ereignissen besonders betroffen. Andererseits bewirken Inflation und Wirtschaftskrise sowie ein verändertes Konsumverhalten der Millennials und der Generation Z teils massive Einbrüche im Weinhandel. In einer kürzlich veröffentlichten Studie aus Kalifornien etwa geben junge Leute an, der Umgang mit Wein sei ihnen zu elitär und die Sprache unverständlich. Wenn sie überhaupt noch Wein trinken, dann höchstens aus ökologischer und nachhaltiger Produktion. Nicht zuletzt meiden ­immer mehr Menschen aufgrund eines wachsenden ­Gesundheitsbewusstseins Alkohol generell. Lesen Sie hier über Weinmenschen, die mit ihren Projekten im Großen und im Kleinen wegweisend für die Zukunft sein könnten.

Michael Wenzel
Rebsorte mit Zukunft: Furmint

Die Klimaerwärmung setzt auch den Reben zu, sie leiden unter zunehmender Hitze und Trockenheit. Einige Rebsorten sind besonders empfindlich, wie etwa Grüner Veltliner, das önologische Wahrzeichen Österreichs. Insbesondere aus den einst so begehrten warmen Lagen geraten sie in regen­armen Jahren gerne ausladend und derb, weisen unerwünschte Aromen auf. Einige Winzer überlegen, dort in Zukunft andere Rebsorten auszupflanzen. Doch nicht internationale Rotweinsorten wie Merlot und Syrah sind die Lösung, sondern oft fast vergessene regionale Sorten, wie etwa Furmint. Diese Sorte erweist sich als besonders resistent gegenüber Hitze und Trockenheit und vermag ­neben interessanten Edelsüßweinen auch erstklassige trockene Weißweine zu liefern.

Michael Wenzel gilt als einer der großen Meister der alten ungarischen Sorte, er vinifiziert sie in ­allen erdenklichen Facetten aus unterschiedlichen Einzellagen: klassisch, maischevergoren, staubtrocken oder süß. Der Ruster Winzer ist besessen von Furmint, akribisch arbeitet er kleinste Nuancen heraus und zeigt das Potenzial der fast v­ergessenen Rebsorte. Nach dem Zerfall des Habsburgerreichs geriet Furmint hierzulande in Vergessenheit. Vater und Großvater retteten die Sorte viele Jahre später vor dem Aussterben. In einer waghalsigen Aktion brachten sie Furmint Edelreiser 1984 über den Eisernen Vorhang. ­Anfangs baute nur eine Handvoll Ruster Winzer Furmint aus, inzwischen erlebt er eine furiose ­Renaissance. Nicht bloß wegen seiner robusten Natur, sondern ob seines erlesenen Geschmacks findet Furmint unter Kennern zunehmend Anerkennung. Schon im 19. Jahrhundert galt Furmint als eine der edelsten Traubensorten, dazumal war er vorwiegend als Süßwein bekannt. Die spät reifende Sorte besitzt jede Menge Säure, die für Frische, ­Finesse und Langlebigkeit sorgt. Es ist die Balance zwischen Frucht und Säure, die die Sorte so einzigartig macht. Furmint kann selbst bei Hitze und Trockenheit seine feingliedrige Fasson behalten – wenn man mit ihm umzugehen weiß.
michaelwenzel.at

Claus Preisinger
Leicht, süffig, kühl – und rot

Die Zeit überladener Fruchtbomben in Rot ist zwar nicht ganz vorbei, aber ­zumindest in der oberen Qualitätsschiene vielfach überwunden. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass eine neue ­Generation an Winzern inzwischen in der Lage ist, feingliedrige Weine mit Substanz und Tiefgang zu produzieren. Passend zu moderner Küche, die sich ebenfalls nicht über Fett oder Süße ­definiert, sondern filigrane, pure Aromen sprechen lässt. Vertreter der roten Finesse gibt es inzwischen etliche, von Uwe Schiefer, Roland Velich und Jörg Bretz als Pioniere über Hannes Schuster, Christian Tschida, Franz Weninger und Johannes Trapl bis zu Stefan Wellanschitz und ­Andreas Gsellmann. Claus Preisingers Puszta Libre hingegen verbindet die Leichtigkeit des Weins mit ­einem ebensolchen Lebensgefühl.

Die rote Cuvée bringt die Weite der pannonischen Ebene und das Gefühl von Freiheit, das damit einhergeht, auf den Punkt. Der Einstieg in die lässige Weinwelt von Claus Preisinger hat erst gar nicht den Anspruch, tiefschürfend zu sein – er fällt eher in die Abteilung „Easy Drinking“. Kein Wein für philosophische Gespräche, eher für laue Sommernächte und unbeschwertes Geplänkel – am besten gekühlt serviert. Die schmale dunkle Flasche mit dem markanten orangen ­Etikett erinnert wohl nicht zufällig an die Fantaflaschen aus den Siebzigerjahren und spricht damit sowohl retroverliebte Boomer als auch junge Trinker an. Claus Preisinger kann aber auch anders: Sein Pinot noir etwa ist fein geschliffen, leicht und ernsthaft. Genau wie der Blaufränkisch vom Edelgrund, der so nicht ­heißen darf, sondern lediglich als „Wein aus Österreich“ kursiert. Was seiner ­internationalen Fangemeinde aber einerlei ist. Dazwischen rangiert der Pet Nat Ancestral aus Sankt Laurent mit gerade einmal elf Prozent Alkohol. Die biodynamische Bewirtschaftung unterstützt dabei auch in heißen Jahren eine gleichmäßige Reifung der Trauben. Das ermöglicht frühe Lese bei voller physiologischer Reife. Die Weine geraten leicht und frisch, ohne an Intensität einzubüßen.
clauspreisinger.at

Christian Tschida
Stockkultur

Historische Methoden im Weinbau interessieren ihn immer am meisten, meint Christian Tschida. Tatsächlich geht die Stockkultur in die Antike zurück. Bis in die Fünfzigerjahre war es die meist verbreitete Reberziehung in Österreich, bis sie von der heute üblichen Hochkultur nach Lenz Moser beinahe lückenlos ersetzt wurde. Bei der Stock- oder Einzelpfahlerziehung wird jeder einzelne Rebstock auf einen Holzpfahl gestützt. Spätestens mit der Mechanisierung des Weinbaus wurde sie entsorgt. Die dichte Bestockung erlaubt keine Traktoren, zudem hielt man Reben in Stockkultur für krankheitsanfälliger, da die Trauben dichter am Boden wachsen. Die Lenz-Moser-Erziehung, bei der die Reben an einem Drahtrahmen angebunden sind, versprach zudem bessere Sonnenbestrahlung. Ein Faktor, der im Zuge der Klimaveränderung wohl kaum mehr erwünscht ist. Tatsächlich gestaltet sich die Erziehung am Einzelstock wesentlich arbeitsaufwendiger. Warum also tun sich das einige wenige Winzer trotzdem an? Die Beschattung sei günstiger für die Reben, die vertikale Erziehung entspreche auch dem natürlichen Wachstumsdrang der Pflanze, was letztlich kürzere Versorgungswege bedeute. Zudem dringen die Wurzeln tiefer in die Erde ein, dorthin, wo sie die beste Verpflegung vorfinden.

„Stockkultur ergibt eine andere Art der Reife, vielschichtig, intensiv und zugleich frisch und leicht“, glaubt Tschida. Empirisch belegbar sei das freilich nicht, aber für sensible Gaumen durchaus wahrnehmbar. Etwa 1,5 Hektar mit Pinot-noir- und Furmint-Reben wachsen mittlerweile bei ihm in Stockkultur. Daraus entstehen feinnervige Weine mit Tiefgang. Für den burgenländischen Winzer ist diese nur eine von vielen Maßnahmen, die er setzt; eine von vielen Schrauben, an denen er dreht, um die Qualität seiner Weine zu steigern.
christiantschida.at

Dr. Loosen
Alkoholfreie Weine

Genuss und Askese scheinen einander auszuschließen. Fast alles, was gut schmeckt, enthält Fett, Zucker oder Alkohol. Der Trend zu gesunden und verträglichen Lebensmitteln ist dennoch ungebrochen. Nach „Low Alcohol“ ist nun vor allem bei jungen Konsumenten „Zero Alcohol“ der neueste Hype in den USA – und wohl bald auch bei uns. Alkoholfreier Wein ist das große Thema in der Branche. Die Nachfrage wird aller Voraussicht nach steigen, allein das Angebot war bislang geschmacklich bescheiden, trotz oder gerade wegen einer High-End-Technologie: Mithilfe unterschiedlicher Verfahren wird dem fertigen Wein der Alkohol wieder entzogen – von Membranfiltration über Umkehrosmose bis zu Vakuumdestillation. Einige dieser Verfahren kennt man noch von der künstlichen Weinkonzentration, die Ende der Neunzigerjahre hoch im Kurs stand. Als das schonendste Verfahren gilt die Vakuumdestillation, wenngleich auch hier durch Erhitzung Aromen verloren gehen. Ist der Alkohol eliminiert, geht es an die Aromenrückgewinnung – mit künstlichen Aromen und Farbstoffen oder lediglich mit Zucker. Inzwischen ist das Verfahren zwar so ausgefeilt, dass sich das Endprodukt geschmacklich allmählich dem Wein annähert, aber eben auch nicht mehr.

Einige wenige Alkoholfreie schneiden bei Verkostungen zumindest befriedigend ab. Wie etwa der Dr. Lo Riesling und der Dr. Lo Riesling Sekt vom bekannten Weingut Dr. Loosen. Aus einem Gutsriesling mit Restsüße produziert, kann ohne die Zugabe von Süßreserven entalkoholisiert werden, was einen weitgehend natürlichen und harmonischen Geschmack ergibt. Für trockene Alkoholiker und Weinabstinenzler aus gesundheitlichen Gründen ist entalkoholisierter Wein jedoch kaum geeignet, kann bei dem Verfahren ein geringer Restalkohol im Wein zurückbleiben – bis zu 0,5 Promille darf er sich trotzdem „alkoholfrei“ nennen. drloosen.com

Gerhard & Herbert Triebaumer
Nachhaltig nachhaltig

Gerhard und Herbert Triebaumer auf ein einziges Zukunftsmodell zu reduzieren, würde die Brüder nicht nur maßlos empören, es wäre schlichtweg falsch. Die Söhne von Ernst Triebaumer haben ein eigenes Universum geschaffen, wo alles mit allem zusammenhängt, wo Nachhaltigkeit und Ökologie stringent gedacht und konsequent gelebt und gearbeitet werden. Am ehesten könnte man sie als Visionäre und inbrünstige Systemskeptiker bezeichnen, das liegt ihnen im Blut, das haben sie von den Eltern geerbt. Hat doch schon Ernst Triebaumer 1971 entgegen aller damaligen Gebräuche Blaufränkisch reinsortig ausgebaut und auch später, als wuchtige Cuvées zum österreichischen Rotweinwunder verklärt wurden, daran ­festgehalten. „Bleamerl-Weine“, wie er Fruchtbomben zu nennen pflegt, waren seine ­Sache nie. Er hielt an seinem kargen, ­puris­tischen Stil fest, der jetzt weltweit als Terroir-Typizität gepriesen wird. Wo der Vater stilistisch Maßstäbe setzte, schaffen seine Nachfolger heute ökologische. Das beginnt damit, dass sie sich als Weinbauern und nicht als Weinmacher verstehen. Mit ähnlicher Willenskraft, Courage und Eigensinn wie der Vater setzen sie nicht bloß Bestehendes fort, sondern schaffen so ­etwas wie ein intaktes Umfeld.

Das fängt bei weit gefasster biodynamischer Bewirtschaftung an, mit Beweidung der Weingärten mit Schafen, der Erzeugung von Kompost mit Holzkohle (Terra Preta), der nicht nur den Boden belebt, sondern auch hohe CO2-Mengen bindet, Agroforstkultur mit Bäumen im Weingarten, Hecken und Streuobstwiesen für Artenvielfalt, einer Bienenzucht, die nicht auf Ertrag abzielt, und geht bis zu echter Nachhaltigkeit mit Photovoltaikanlagen für den eigenen Strombedarf, für Elektroauto und -stapler. Aber es sind nicht bloß die Projekte, die man als „Regenerative Landwirtschaft“ betiteln und vermarkten könnte, es ist vor allem ihre Haltung, die zukunftstauglich ist. Der Versuch, die Mechanismen der Natur im Wesen zu verstehen, mit ihr und von ihr zu leben, ohne sie auszubeuten.
triebaumer.com

Stefanie & Alwin Jurtschitsch
Agro- und Vitiforestry

Als Alwin Jurtschitsch vor 15 Jahren Dutzende Obstbäume in den Steinterrassen des Heiligensteins pflanzte, eine der besten ­Lagen des Kamptals, hielt man ihn schlichtweg für verrückt. Damals kannte in unseren Breiten kaum jemand den Begriff Agrofores­try. Weinbau war damals reine Monokultur, nichts sollte den Ertrag minimieren. Heute ist Agroforst ein international beforschter Zweig der Landwirtschaft und ein vielversprechender Lösungsansatz gegen Hitze, Trockenheit und extreme Wetterereignisse. Dabei werden Ackerbaukulturen und/oder Nutztierhaltung mit Forstwirtschaft kombiniert. Im Weinbau etwa pflanzt man Bäume oder Büsche auf der gleichen Fläche mit Rebstöcken. Alwin Jurtschitsch hatte damals noch keine Vorstellung davon, wie nachhaltig sich das Projekt auf das gesamte System Weingarten auswirken sollte, er wollte lediglich weg von der Monokultur und hin zu Artenvielfalt, um ein stabiles Ökosystem zu schaffen.

Dass Vitiforestry, wie man die spezifische Kombination von Reben und Bäumen nennt, beinahe zu einer Zauberformel in der von. Klimaerwärmung geplagten Weinwirtschaft werden könnte, entdeckte man erst spät: Bäume im Weingarten sorgen für Beschattung und Abkühlung sowie langsamere Wasserverdunstung. Der Boden nimmt mehr Wasser auf und speichert es. Bäume bieten aber auch Nahrung und Lebensraum für Tiere, fördern somit Nützlinge, entziehen CO2 und binden es, bauen Humus auf und sorgen für Bodenvitalität. Das eigentliche Wunder spielt sich aber tief unter der Erde ab: Symbiosen sogenannter Mykorrhiza-Pilze mit den Wurzeln können tatsächlich ein Netzwerk zwischen Rebstock und Baum schaffen, das die Reben mit mehr Wasser und Nährstoffen ­versorgt. Freilich hat Vitiforestry auch Tücken: Nicht jeder Baum eignet sich. Bestenfalls pflanzt man, was früher, vor der Technisierung des Weinbaus, regional gewachsen ist. Am Heiligenstein Steinwand sind das Weingartenpfirsich und Quitte. Bäume mit hohem Wasserbedarf erweisen sich hingegen als Konkurrenten auf der kargen Lage, da selbst die Baumwurzeln hier rasch auf Granit beißen und nicht zum Grundwasser dringen können.
jurtschitsch.com

Heunisch & Erben
Weinbar 2.1

Als 2017 das Heunisch & Erben eröffnete, ging ein Raunen durch die Weinbarszene Wiens. Immerhin konnte man in dem modern gestylten Lokal mit den vielen Weinkisten an der Decke rund 60 offene Weine konsumieren, ein Angebot, das als kleine Sensation gewertet wurde. Und das ist noch heute so. Es gibt fast nichts, das es in dem Eldorado für Weinliebhaber nicht gibt: von klassisch bis crazy, von still bis sprudelnd, aus Österreich und der Welt, bio oder konven­tionell – in jedem Fall aber garantiert frei von Dogmatik. Und damit man möglichst viele davon kosten kann, gibt es inzwischen sogar um die hundert Weine glasweise. Verantwortlich dafür ist Robert Brandhofer vom Weinbar- und Handelsunternehmen Pub Klemo, der für seine Zweigstelle zusammen mit Markus Gould eine eigene Schanktechnik entwickelte, basierend auf der „Coravin-Methode“, die es ermöglicht, auch Flaschen zu öffnen, von denen in der Woche vielleicht nur ein Glas ver-kauft wird, ohne dass der kostbare Rest
deshalb oxidiert.

Das Heunisch & Erben punktet bei den Gästen aber auch wegen des kulinarischen Angebots, das sich von Beginn an überaus qualitätsorientiert präsentierte. Derzeit steht mit Küchenchef Michael Gubik ein Mann am Herd, der für eine besonders feinsinnige Gangart bekannt ist. Es sind Gerichte mit vielschichtigen Nuancen, die auch zu den ausgefallensten Weinen passen. So zwanglos wie das Weinbistro insgesamt ist auch die Küche – gerne ­regional, aber ohne Korsett. Dass die Hausherren das schicke Weinbistro „Trinkstube des Herzens“ nennen, fällt wohl unter ­Un­derstatement. Das Lokal ist jedenfalls ­meistens rappelvoll. heunisch.at

Weinskandal
Weinhandel fürdie Generation Z

Skandalös ist an Weinskandal inzwischen nichts mehr. Das war zu Beginn freilich anders. Als Moritz Herzog vor über einem Jahrzehnt den Onlinehandel mit ausschließlich Bio- und Natural-Weinen gründete, glich das einer Revolte. Nur einige wenige Freaks trauten sich ­damals über diese wilden Weine. Das hat sich mittlerweile geändert. Auch wenn so mancher konservative Weinfreund Natural und Orange Wines nach wie vor als fehlerhaft ablehnt, bildete sich im Laufe der Jahre eine zunehmende Fangemeinde. Moritz Herzog und eine Handvoll seiner Kollegen wie Dominik Portune vom
Vinonudo und Enrico Bachechi von Vinifero ­trugen maßgeblich dazu bei. Kein angesagtes Lokal in Österreich kommt heute mehr ohne Natural Wines aus.

Weinskandal ist zu einer der ersten Adressen für Weine abseits des Mainstreams geworden: ob Natural, Bio, Orange, Pet Nat und Ancestrale aus der ganzen Welt oder ausgesuchte Champag­ner, ob belgisches Bier oder rarer Cider aus Schweden. Moritz Herzog weiß aber auch, wie man junges Publikum anspricht, verzichtet auf elitäre Attituden und spricht die Sprache der Generation Z: Auf seiner Website kennzeichnet er sein Angebot etwa in dürre Kategorien wie „classy with a twist“, „funky“ oder „freaky“ entgegen den althergebrachten Gepflogenheiten im Weinhandel mit ausführlichen Weinbeschreibungen. Inzwischen betreibt Moritz auch eine eigene Weinbar (R&Bar), wo man einige seiner Weine in betont lässiger Atmosphäre verkosten kann. Dort schenkt er auch solche aus, die man sich, so glaubt er, in der Gastronomie sonst nicht auszuschenken traut. Auch wenn Weinskandal keinen Skandal mehr auslöst, kreuzbrav ist Moritz Herzog auch nicht geworden.
weinskandal.at

Gernot & Heike Heinrich
Alternativer Inhalt, alternative Form

Kaum ein Weingut hat eine derart radikale Kehrtwendung vollzogen wie das von Gernot und Heike Heinrich. Von etablierten konventionellen Produzenten mit breitentauglichen ­Gewächsen wandelte sich das Winzerpaar zu kompromisslosen Biodynamikern und Natural-Wine-Erzeugern. Nicht alle Händler und Kunden goutierten den ideologischen wie sensorischen Paradigmenwechsel, der Sprung ins kalte Wasser zahlte sich dennoch aus. Auch wenn einige Kunden absprangen, kamen doch viele neue dazu. Die Heinrichs gelten als Musterbeispiel in Sachen biodynamische Bewirtschaftung und setzen auch stilistisch immer wieder Maßstäbe. Mit der Serie Freyheit spielten sie sich dann völlig frei von Konven­tionen: Weine aus biodynamischer Bewirtschaftung, im Keller minimal invasiv gearbeitet. Graue Freyheit, eine Burgundercuvée mit einem Schuss Neuburger, Muskat Freyheit, vorwiegend aus Muskat Ottonel, und Roter Traminer Freyheit werden genau wie der rote Pinot Freyheit für einige Zeit auf der Maische belassen, teilweise in Amphoren vergoren, ­allesamt zum Teil in der Amphore gereift und dann ohne Zugabe von Schwefel unfiltriert ­abgefüllt. Und zwar in die Tonflasche, die ­inzwischen so beliebt ist, dass sie als Re-Use-­Produkt im Sinne einer Kreislaufwirtschaft durchgeht. Eine Idee, die man auch von Sepp Muster aus der Südsteiermark kennt.

Die formschönen Flaschen mit den ebenso ansprechenden Etiketten dienen in ihrem zweiten Leben als Vasen oder Gefäße für Öl, Essig oder Wasser. Für einige Länder reicht das dennoch nicht aus, im Sinne der Nachhaltigkeit haben Weinflaschen künftig Gewichtsobergrenzen. Daher stellt man im Hause Heinrich teilweise auf Super-Leichtflaschen um. Ein Pfandflaschensystem gemeinsam mit dem Handel konnte sich in Österreich ­hingegen noch nicht etablieren, ebenso wie das nachhaltige Bag-in-Box-System, das unter seinem Billig-Image leidet.
heinrich.at

Josef Totter
PIWI-Sorten: Der Kampf gegen Pilze

Die Klimaveränderung bringt aber nicht nur Hitze und Trockenheit, sondern mitunter auch Wetterextreme wie Stark- oder Dauerregen. Vor allem in den steirischen Anbauregionen leiden Winzer unter häufigem Niederschlag im Sommer. In Kombination mit warmen Temperaturen bedeutet das geradezu ideale Voraussetzungen für Pilz-befall der Reben. Vor allem Echter und Falscher Mehltau sind gefürchtet, sie können schon mal ganze Ernten vernichten. Während man im konventionellen Weinbau akut reagieren kann, indem man Fungizide spritzt, erlaubt der biologische Weinbau nur vorbeugende Behandlung, etwa mit Kupfer gegen Peronospora (Falscher Mehltau). Kupfer ist so etwas wie die Achillesferse im Bio-Weinbau, ein Schwermetall, das im Boden bleibt. Abhilfe könnten etwa PIWIs, also pilzwiderstandsfähige Sorten, schaffen, Neuzüchtungen und Kreuzungen mit hoher Resistenz gegen
Pilze. Edel- oder Europäerreben (Vitis vinifera) werden dabei mit neuen pilzwiderstandsfähigen amerikanischen Sorten gekreuzt – nicht unbedingt zu ihrem sensorischen Vorteil, wie viele Experten glauben. Die geschmacklichen Eigenschaften der bekannten Sorten gingen bei den Neuzüchtungen weitgehend verloren. Josef Totter kann derlei Vorurteile nicht verstehen.

Der steirische Winzer ist überzeugt, dass man aus jeder Rebsorte einen hochwertigen Wein machen kann. Er ist ­einer von ganz wenigen Winzern weltweit, die ausschließlich PIWI-Sorten produzieren, vorwiegend Souvignier gris und Muscaris – mit guten Ergebnissen. Vor allem beim Muscaris arbeitet er gerne mit Maischegärung, um den an sich etwas rustikalen Sorten eine wenig Grip und Struktur zu verleihen. Als Bio-Bauer brauche er kaum mehr Pflanzenschutz und vermeide somit auch Traktorüberfahrten in den ­Weinbergen, die den Boden verdichten. Ob sich PIWIs durchsetzen, liegt letztendlich am Können der Winzer und am Willen der Konsu­men­ten, neue, unbekannte Sorten zu akzeptieren.
Josef Totter, 8091 Jagerberg 24,
T 0660/219 79 50

Michael Gindl
Zurück zur gemischten Landwirtschaft

Eigentlich ist Michael Gindl Winzer, doch vor einigen Jahren hat er sich dazu entschlossen, wieder Landwirt zu werden. Neben Hochlandrindern hält er unzählige Schafe, Ziegen, einige Pferde und Hühner. Der kleine Zoo ist aber nicht bloß niedlicher Zierrat, die Tiere haben alle eine Funktion im Betrieb. Der Weinviertler Winzer verfolgt damit das Ideal einer geschlossenen, sich selbst erhaltenden Kreislaufhofwirtschaft: ein Ideal der Biodynamie, nach deren Richtlinien er arbeitet. Dabei soll alles nach Möglichkeit selbst produziert und verwertet werden, vom Tierfutter bis zum Kompost für die Rebstöcke. Eine gemischte Landwirtschaft mit Weinbau, Viehzucht und Ackerbau – wie früher üblich. Das sei aufwendig, aber mache Sinn, glaubt er. Es bedeute ein gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit, in Zeiten massiver Inflation ein gewichtiger Faktor. Möglich ist die ­zeit­intensive Tierhaltung, weil seine Weingärten durch biodynamische ­Bewirtschaftung gesund seien, sodass er keinen großen Aufwand mit Pflanzenschutz habe. Nicht zuletzt helfen die Tiere ja auch mit. Die Schafe beweiden die Weingärten, erledigen das Mäh- und Düngemanagement, Rinder und Ziegen sorgen für Kompost und die Hühner ­dienen als natürliches Bekämpfungskommando gegen Rhombenspanner, die sonst die Rebknospen fressen.

Eine besondere Aufgabe kommt den Pferden zu. Sie bearbeiten die Weinberge anstelle des Traktors. Es ist ein Bild wie aus einer längst vergangenen Epoche, wenn Gindl mit einem seiner schweren Kaltblutpferde samt einem archaisch anmutenden Pflug durch die Rebzeilen zieht. Den Aufwand mit den Pferden betreibt er jedoch nicht aus purer Nostalgie. Für die Böden in den Weingärten sind Pferde schonender als der Traktor. Eine Versuchsstudie der Universität Kiel kommt zu dem Ergebnis, dass die Bodenverdichtung bei Pferden wesentlich geringer ausfällt. Er bleibt lockerer und speichert mehr Wasser. Weniger Verdichtung bedeutet mehr Leben im Boden, was wiederum den Rebstöcken und letztendlich dem Wein zugute kommt. Ein funktionierendes Modell für die Zukunft.
mgsol.at

Der Beitrag Zukunftsreif (2024/2) erschien zuerst auf A la carte.


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